Pharmazie
Der Verein Pharmaceutical Care Network-Switzerland, der Schweizerische Apothekerverband und der Schweizerische Verein der Amts- und Spitalapotheker geben die folgenden Empfehlungen ab:
1) Kein Wechsel in ein neues Behandlungssetting ohne systematischen Medikationsabgleich.
Umfassende Medikamentenanamnesen und systematische Medikationsabgleiche sind unverzichtbar, um bei Patientenaufnahmen bzw. bei Übertritten aus einem anderen Behandlungssetting fehlerfrei zu erfassen, welche Medikamente Patientinnen und Patienten aktuell einnehmen bzw. früher eingenommen haben. Der Umfang der Anamnese soll möglichst breit sein und auch Medikamente der Selbstmedikation, pflanzliche Präparate, Vitamine, Mineralstoffe und Nahrungsergänzungsmittel umfassen. In einem systematischen Medikationsabgleich müssen mindestens zwei unabhängige Informationsquellen konsultiert werden. Dies können beispielsweise ein Medikationsplan oder ein Austrittsbericht oder eine Bezugshistorie aus der Stammapotheke sein. Es können unbeabsichtigte Auslassungen und Hinzufügungen von Medikamenten, Doppelverordnungen sowie Dosierungsfehler verhindert werden.
Quellen
Mekonnen AB, McLachlan AJ, Brien JE. Effectiveness of pharmacist-led medication reconciliation programmes on clinical outcomes at hospital transitions: a systematic review and meta-analysis. BMJ Open. 2016;6(2): e010003. doi:10.1136/bmjopen-2015-010003
World Health Organization. Medication Safety in Transitions of Care. Published online 2019. Accessed October 15, 2024. https://www.who.int/publications-detail-redirect/WHO-UHC-SDS-2019.9
Evidenz
Systematischer Review mit Metaanalyse aus 17 Studien / WHO-Bericht 2019
2) Keine unreflektierte Abgabe von Grosspackungen bei Beginn einer Langzeittherapie.
Beim Start einer medikamentösen Therapie ist stets ungewiss, ob die Therapie gut toleriert wird, allenfalls Dosisanpassungen nötig sind oder Handhabungsprobleme auftreten. Auch wenn Grosspackungen für Langzeittherapien gedacht sind, soll daher beim Therapiestart gemeinsam mit Patientinnen und Patienten oder deren Angehörigen die geeignete Packungsgrösse ermittelt werden. Hierbei ist auch wichtig zu berücksichtigen, ob die Therapie schon mal zur Anwendung gelangt ist oder z.B. bei Spitalaustritt sich zuvor bereits stationär über eine gewisse Zeit bewährt hatte. Eine reflektierte Abgabe berücksichtigt den Zeitraum bzw. den Bedarf bis zum nächsten Arzttermin.
Quellen
West LM, Diack L, Cordina M, Stewart D. A systematic review of the literature on ‘medication wastage’: an exploration of causative factors and effect of interventions. Int J Clin Pharm. 2014;36(5):873-881. doi:10.1007/s11096-014-9981-2
Bekker CL, Gardarsdottir H, Egberts ACG, Bouvy ML, Van den Bemt BJF. Pharmacists’ Activities to Reduce Medication Waste: An International Survey. Pharmacy. 2018;6(3):94. doi:10.3390/pharmacy6030094
Smale EM, Egberts TCG, Heerdink ER, van den Bemt BJF, Bekker CL. Waste-minimising measures to achieve sustainable supply and use of medication. Sustainable Chemistry and Pharmacy. 2021;20:100400. doi:10.1016/j.scp.2021.100400
Evidenz
Zu diesem wenig beforschten Thema gibt es Hinweise aus einzelnen Studien, dass die Apotheke durch fraktionierte Abgabe die Medikamentenverschwendung reduzieren kann.
3) Keine Anpassung der Medikation, ohne dass Patientinnen und Patienten darüber aufgeklärt wurden und das Informieren der legitimierten Fachpersonen und Institutionen sichergestellt ist.
Medikationsanpassungen (z.B. Dosisanpassung, Therapiewechsel, Therapiestopp, generische Substitution, Überbrückung von Lieferengpässen) sind häufig. Ohne entsprechende Aufklärung sind Doppeleinnahmen, falsche Anwendung, Non-Adhärenz oder andere Risiken möglich. Ausreichende Information der beteiligten und von den Patientinnen und Patienten legitimierten Fachpersonen und Institutionen vermeidet zeitaufwendige Rücksprachen, reduziert unnötigen Aufwand und fördert das Erreichen der Behandlungsziele.
Quellen
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Charta 2.0 Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen (2020). doi.org/10.5281/zenodo.3865147
Weir DL, Motulsky A, Abrahamowicz M, et al. Failure to follow medication changes made at hospital discharge is associated with adverse events in 30 days. Health Services Research. 2020;55(4):512-523. doi:10.1111/1475-6773.13292
Ozavci G, Bucknall T, Woodward-Kron R, Hughes C, Jorm C, Manias E. Creating opportunities for patient participation in managing medications across transitions of care through formal and informal modes of communication. Health Expectations. 2022;25(4):1807-1820. doi:10.1111/hex.13524
Evidenz
Hinweise aus Studien und aus dem Statement der SAMW zur interprofessionellen Zusammenarbeit (2020)
4) Keine Abgabe von Medikamenten bei Spitalaustritt oder Übertritt aus einem anderen Setting ohne Abklärung des Bedarfs.
Bei Austritt von Patientinnen und Patienten aus dem Spital oder bei einem Übertritt wird in der Regel auch eine Medikamentenverordnung mitgegeben, die fortan bzw. bis zum nächsten Arztbesuch Gültigkeit hat. Häufig wurden diese Personen bereits vor dem Spitalaufenthalt medikamentös behandelt und haben noch Vorräte zu Hause, die noch genutzt werden können oder bei abgesetzter Therapie nun fachgerecht entsorgt werden müssen. Zu Medikamenten, die nur nach Bedarf angewendet werden sollen, soll der individuelle Bedarf ermittelt werden.
Quellen
Makki M, Hassali MA, Awaisu A, Hashmi F. The Prevalence of Unused Medications in Homes. Pharmacy. 2019;7(2):61. doi:10.3390/pharmacy7020061
Daliri S, Hugtenburg JG, ter Riet G, et al. The effect of a pharmacy-led transitional care program on medication-related problems post-discharge: A before–after prospective study. PLOS ONE. 2019;14(3):e0213593. doi:10.1371/journal.pone.0213593
Stiftung Patientensicherheit Schweiz. Sichere Medikation an Schnittstellen. 2017. Accessed April 11, 2024. https://patientensicherheit.ch/sichere-medikation-an-schnittstellen/
Evidenz
Narrativer Review von 25 Studien, Resultate einer Interventionsstudie in den Niederlanden und Erklärung der Stiftung Patientensicherheit Schweiz
5) Keine Weiterführung einer Langzeittherapie ohne Beurteilung von Nutzen, Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten unter Langzeittherapie und bei der wiederholten Abgabe verordneter Medikamente übernimmt die Apotheke die Verantwortung für den rationalen Einsatz bis zum erneuten Arztbesuch nach 6 bis 12 Monaten und kann so Therapieunterbrüche verhindern. Die wiederholte Abgabe soll aber nicht unreflektiert erfolgen.
Die Klärung von Wirksamkeit und Verträglichkeit umfasst primär eine kurze Befragung der Patientinnen und Patienten und kann allenfalls auch ausgeweitet werden auf die Prüfung von Änderungen in der Medikation, um allfällige Therapiekaskaden bzw. Unverträglichkeiten aufzudecken. Darüber hinaus können eventuell vorhandene Probleme in der Anwendung besprochen werden. Identifizierte Probleme oder Non-Adhärenz können zusammen mit Lösungsansätzen den behandelnden Ärztinnen und Ärzten mitgeteilt werden.
Quellen
Schweizerischer Apothekerverband (pharmaSuisse). Tarifvertrag LOA IV/1; 2015. Accessed April 11, 2024. https://pharmasuisse.org/system/files/media/documents/2023-10/Tarifvertrag-LOA-IV-1.pdf
Maes KA, Ruppanner JA, Imfeld-Isenegger TL, Hersberger KE, Lampert ML, Boeni F. Dispensing of Prescribed Medicines in Swiss Community Pharmacies – Observed Counselling Activities. Pharmacy. 2019;7(1):1. doi:10.3390/pharmacy7010001
Zermansky A, Petty D, Raynor T, Lowe C, Freemantle N, Vail A. Clinical medication review by a pharmacist of patients on repeat prescriptions in general practice: a randomised controlled trial. Health Technol Assess. 2002;6(20). doi:10.3310/hta6200
Bond C, Matheson C, Williams S, Williams P, Donnan P. Repeat prescribing: a role for community pharmacists in controlling and monitoring repeat prescriptions. Br J Gen Pract. 2000;50(453):271-275. PMID: 10897509
Yuan C, Ding Y, Zhou K, Huang Y, Xi X. Clinical outcomes of community pharmacy services: A systematic review and meta-analysis. Health & Social Care in the Community. 2019;27(5):e567-e587. doi:10.1111/hsc.12794
Evidenz
Tarifvertrag definiert die Verpflichtungen, die durch Studien aus den Niederlanden und UK begründet sind und in einem systematischen Review von 25 Studien positive Effekte zeigten.



Info-Flyer zu dieser Liste
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Informationen für Fachpersonen (April 2025) [51.74 KB]
Dokument für Patientinnen und Patienten
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Empfehlung Laien (April 2025) [114.73 KB]