Kinderchirurgie
Die Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie gibt die folgenden Empfehlungen ab:
1) Vermeidung von Zirkumzisionen bei unkomplizierter und asymptomatischer Phimose vor Einsetzen der Pubertät.
Knaben werden mit einer nicht retrahierbaren Vorhaut geboren. Dies ist durch die Agglutination der Vorhaut mit der Glans und durch eine physiologische Vorhautenge (physiologische Phimose) bedingt. Im Laufe des Wachstums bis zum Abschluss der Pubertät kommt es spontan zur Aufweitung der Vorhaut und zum Lösen der Agglutination. Dieser Prozess setzt zu einem variablen Zeitpunkt ein. Präpubertär gibt es keinen definierten Zeitpunkt, in dem dieser Prozess abgeschlossen sein sollte. Daher ist eine nicht retrahierbare Vorhaut bei präpubertären Knaben primär kein pathologischer Zustand. Eine Therapie ist deshalb bei einer unkomplizierten Vorhautenge oder Verklebung, die keinerlei Beschwerden verursacht, im präpubertären Alter nicht notwendig. Sie wird nur empfohlen, wenn die Vorhaut Beschwerden verursacht oder zeitnah Beschwerden und/oder sekundäre Pathologien zu erwarten sind. Dies ist der Fall bei einer persistierenden Vorhautenge bei Abschluss der Pubertät (primäre Phimose) oder wenn die Phimose sekundär entsteht (narbige Phimose, Phimose bei Lichen sclerosus et atrophicans). In den meisten Fällen genügt eine konservative Therapie mit topischen Glukokortikosteroiden. Bei Vernarbung und Lichen sclerosus kann eine Zirkumzision notwendig sein, je nach Ausprägung auch als primäre Behandlungsmodalität.
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Evidenzlevel: Cochrane Database Systematic Review, Meta-Analyse von RCT, Kohortenstudien, Beobachtungsstudien
2) Vermeidung der primären operativen Versorgung bei unkomplizierten diaphysären Klavikulafrakturen im Kindes- und Adoleszentenalter.
Im Falle einer unkomplizierten diaphysären Klavikulafraktur im Kindes- und Jugendalter (intakte Hautverhältnisse, keine drohende Perforation, intakte neurovaskuläre Strukturen) ergibt eine primäre operative Behandlung keine Vorteile gegenüber einem konservativen Vorgehen. Die schnelle Konsolidierungszeit, die zeitnahe Rückkehr zum gewohnten Sportniveau ohne funktionelle Einschränkungen, die niedrige Komplikationsrate eines konservativen Vorgehens in Bezug auf eine verzögerte oder ausbleibende Heilung sowie in Bezug auf die im Erwachsenenalter gefürchtete Pseudarthrosenbildung mit allfälligen Revisionseingriffen sprechen für die genannte Vorgehensweise. Eine Operationsindikation sollte dem individuellen Einzelfall vorbehalten sein, sofern das konservative Vorgehen beispielsweise aufgrund von nicht beherrschbaren und immobilisierenden Schmerzen nicht durchgeführt werden kann.
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Evidenzlevel: prospektive Kohortenstudien, Systematic Review / Metaanalyse von retrospektiven Kohortenstudien, retrospektive Vergleichsstudien
3) Vermeidung der chirurgischen Therapie der Nabelhernie vor dem fünften Lebensjahr.
Nabelhernien kommen beim Kleinkind häufig vor. Dies ist durch eine natürliche Faszienlücke im Nabelbereich bedingt. Postnatal vernarbt diese fibrotisch, wodurch sich die Faszienlücke verschliesst. Die Spontanverschlussrate beträgt dabei >90%. Der vollständige Nabelverschluss kann bei hellhäutigen Kindern bis zum Alter von fünf Jahren dauern, bei dunkelhäutigen Kindern bis zum Alter von elf Jahren. Da die Inkarzerationsgefahr ein seltenes Risiko ist (Inzidenz <0,2%), kann in den meisten Fällen mit asymptomatischer Nabelhernie eine Watch-and-wait-Strategie bis im Alter von fünf Jahren angewendet werden.
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Evidenzlevel: Kohortenstudien/Beobachtungsstudien
4) Vermeidung der unkritischen Indikationsstellung für Ganzkörper-Computertomografien bei Kindern mit Hochenergietrauma.
Mit einem Ganzkörper-CT werden Kinder einem reellen Risiko für die Entwicklung fataler Malignome im Langzeitverlauf ausgesetzt, auch wenn dieses Risiko absolut gesehen klein bleibt.
Durch gezielte, selektive CTs (wenn indiziert gemäss publizierten Guidelines) kann die Strahlenbelastung reduziert werden, ohne ein Risiko für erhöhte Mortalität durch verpasste Verletzungen einzugehen. Aus diesem Grund soll die unkritische Verwendung eines Ganzkörper-CTs beim verletzten Kind vermieden werden.
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Evidenzlevel: Kohortenstudien (retrospektive, prospektive und Multicenter)
5) Vermeidung eines Eingriffes bei unkomplizierten Poplitealzysten im Kindes- und Adoleszentenalter.
Bei Poplitealzysten im pädiatrischen Alter handelt es sich um eine idiopathische, umschriebene Synovialflüssigkeitskollektion im Bereich der Gastrognemius-Semitendinosus-Bursa. Diese gutartigen, sog. primären Poplitealzysten haben keine Beziehung zum Kniegelenk (anders als bei Erwachsenen, wo diese Poplitealzysten in über 90% der Fälle sekundär als Folge einer intraartikulären Läsion entstehen). Da sich die primären Poplitealzysten mehrheitlich nach ein bis zwei Jahren verflüchtigen und ihre operative Entfernung eine nicht zu vernachlässigende Rezidivquote aufweist, ist eine Operation ohne dringende Indikation ungerechtfertigt.
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Evidenzlevel: Beobachtungsstudien
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Informationen für Fachpersonen (Juli 2025) [51.29 KB]
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