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Pädiatrie

Die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie, pädiatrie schweiz, gibt die folgenden Empfehlungen ab:

1) Starten Sie bei leicht bis mässig dehydrierten Kindern nicht eine intravenöse Therapie, bevor eine orale Rehydrierung versucht worden ist.

 

Die enterale Rehydrierung per os oder via Magensonde mit einer oralen Elektrolytlösung ist ebenso wirksam wie die intravenöse Rehydrierung und mit weniger schwerwiegenden Nebenwirkungen assoziiert. In vielen hochentwickelten Ländern kann bei leichter Dehydratation die Verwendung von verdünntem Apfelsaft oder anderen vom Kind bevorzugten Flüssigkeiten (zum Beispiel Muttermilch) eine geeignete Alternative zu Elektrolytlösungen sein. Die erfolgreiche Platzierung eines venösen Zugangs ist bei dehydrierten Kindern häufig schwierig und kann mehrere Versuche erfordern, was die Rehydrierung zusätzlich verzögert.
 
In einigen Übersichtsarbeiten liegt die Häufigkeit des Versagens der enteralen Rehydrierung bei Kindern mit Durchfall und Erbrechen bei 5 %, bei alleinigem Durchfall sogar niedriger.

 

Referenzen:

Colletti J, Brown KM, Sharieff GQ, Barata IA, Ishimine P. The management of children with gastroenteritis and dehydration in the emergency department. J Emerg Med 2010; 38(5): 686-698.

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Guarino A, Lo Vecchio A, Dias JA, Berkley JA, Boey C, Bruzzese D, et al. Universal recommendations for the management of acute diarrhea in nonmalnourished children. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2018; 67(5): 586-593.
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2) Behandeln Sie eine akute Otitis media bei Kindern nicht routinemässig mit einem Antibiotikum.

 

Vermeiden Sie den routinemäßigen Einsatz von Antibiotika bei unkomplizierter akuter Otitis media (Mittelohrentzündung) bei Kindern über 6 Monaten, da eine akute Otitis media in der Regel die Folge einer viralen Infektion der oberen Atemwege ist. Eine klinische Neubeurteilung nach 24-48 Stunden unter adäquater analgetischer Therapie ist empfohlen. In den meisten Fällen kommt es zu einer spontanen Besserung der Symptome und schwere Komplikationen sind selten. Der Einsatz von Antibiotika kann resistente Bakterien fördern und Nebenwirkungen verursachen, verhindert schwere Komplikationen aber nicht.

 

Referenzen:

Suzuki HG, Dewez JE, Nijman RG, Yeung S. Clinical practice guidelines for acute otitis media in children: a systematic review and appraisal of European national guidelines. BMJ Open 2020; 10(5): e035343.
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PIGS Empfehlung zur Diagnose und Behandlung von Otitis media, Sinusitis, Pharyngitis und Pneumonie. 2010. www.pigs.ch (access 09.02.2021).
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Lieberthal AS, Carroll AE, Chonmaitree T, Ganiats TG, Hoberman A, Jackson MA, et al. The diagnosis and management of acute otitis media. Pediatrics 2013;131(3):e964-999.

3) Verwenden Sie keine Hustenmedikamente bei Kindern.

 

Husten ist im Allgemeinen ein normaler Abwehrmechanismus des Körpers. Es wurde gezeigt, dass sowohl chemische wie pflanzliche Hustenmedikamente gegen Erkältungen nicht wirksam sind und potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen haben können. Viele Produkte enthalten mehr als einen Inhaltsstoff, was das Risiko einer Überdosierung erhöht, vor allem wenn sie mit anderen Medikamenten kombiniert werden.

 

Referenzen:

Smith SM, Schroeder K, Fahey T. Over‐the‐counter (OTC) medications for acute cough in children and adults in community settings. Cochrane Database Syst Rev 2014(11): CD001831.
Gardiner SJ, Chang AB, Marchant JM, Petsky HL. Codeine versus placebo for chronic cough in children. Cochrane Database Syst Rev 2016;7(7):CD011914.
Noor A, Fiorito T, Krilov LR. Cold weather viruses. Pediatr Rev 2019; 40(10): 497-507.
Schaeffer MK, Shehab N, Cohen AL, Budnitz DS. Adverse events from cough and cold medication in children. Pediatrics 2008;121(4):783–787.

4) Verwenden Sie bei Säuglingen mit Bronchiolitis nicht routinemässig Steroide oder Bronchodilatatoren.

 

Systemische oder inhalative Steroide haben weder einen positiven Effekt auf die Hospitalisationsrate noch auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts bei Säuglingen mit Bronchiolitis.
Zudem zeigt die Evidenz, dass Bronchodilatatoren wie Salbutamol bei Säuglingen mit Bronchiolitis weder die Sauerstoffsättigung verbessern, die Krankenhauseinweisungen oder die Dauer des Krankenhausaufenthalts reduzieren noch die Zeit bis zum Abklingen der Erkrankung verkürzen. Salbutamol kann unerwünschte Nebenwirkungen wie Tachykardie, Verschlechterung der Sauerstoffsättigung und Tremor verursachen.

 

Referenzen:

Barben J, Regamey N, Hammer J. Akute Bronchiolitis - ein Update. Swiss Med Forum 2020;20(09-10):155-159.

Cai Z, Lin Y, Liang J. Efficacy of salbutamol in the treatment of infants with bronchiolitis: A meta-analysis of 13 studies. Medicine (Baltimore) 2020;99(4):e18657.

Gadomski AM, Scribani MB. Bronchodilators for bronchiolitis. Cochrane Database Syst Rev 2014(6):CD001266.

Hartling L, Fernandes RM, Bialy L, Milne A, Johnson D, Plint A, et al. Steroids and bronchodilators for acute bronchiolitis in the first two years of life: systematic review and meta-analysis. BMJ 2011;342:d1714.

Fernandes RM, Bialy LM, Vandermeer B, Tjosvold L, Plint AC, Patel H, et al. Glucocorticoids for acute viral bronchiolitis in infants and young children. Cochrane Database Syst Rev 2013(6):CD004878.

5) Verwenden Sie Säureblocker nicht routinemässig zur Behandlung des gastroösophagealen Reflux bei Säuglingen.

 

Gastroösophagealer Reflux (GÖR) ist ein physiologischer Prozess und erfordert bei Säuglingen keine Behandlung mit Säureblockern. Die Säuresuppression verbessert weder unspezifische Symptome wie exzessives Schreien noch Aufstossen/Spucken. Der Einsatz von Säureblockern wie Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und H2-Rezeptorantagonisten kann zu Nebenwirkungen wie häufigeren Infektionen der unteren Atemwege, Veränderungen der Darmflora oder verzögerter Magenentleerung führen und ist mit einer verminderten Knochenmineralisierung verbunden.
 
Wenn der Rückfluss von Mageninhalt den Alltag beeinträchtigende Symptome verursacht oder zu Komplikationen führt, liegt eine gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) vor. Ein Therapieversuch mit PPI sollte bei Säuglingen nicht als diagnostischer Test für GERD verwendet werden.

 

Referenzen:

Rosen R, Vandenplas Y, Singendonk M, Cabana M, DiLorenzo C, Gottrand F, et al. Pediatric gastroesophageal reflux clinical practice guidelines: Joint recommendations of the North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition (NASPGHAN) and the European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition (ESPGHAN). J Pediatr Gastroenterol Nutr 2018; 66(3): 516-554.
Tighe M, Afzal NA, Bevan A, Hayen A, Munro A, Beattie RM, et al. Pharmacological treatment of children with gastro-oesophageal reflux. Cochrane Database Syst Rev 2014;(11): CD008550.
De Bruyne P, Ito S. Toxicity of long-term use of proton pump inhibitors in children. Arch Dis Child 2018; 103(1):78-82.
Poddar U. Gastroesophageal reflux disease (GERD) in children. Paediatr Int Child Health 2019; 39(1):7-12.
Rybak A, Pesce M, Thapar N, Borrelli O. Gastro-esophageal reflux in children. Int J Mol Sci 2017; 18(8):1671.
Mousa H, Hassan M. Gastroesophageal reflux disease. Pediatr Clin North Am 2017; 64(3): 487-505.
Levy EI, Salvatore S, Vandenplas Y, de Winter JP. Prescription of acid inhibitors in infants: an addiction hard to break. Eur J Pediatr 2020;179(12):1957–1961.

Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie

www.paediatrieschweiz.ch

Zur Entstehung dieser Liste

 

Im November 2018 wurde die Arbeitsgruppe (AG) Choosing wisely (CW) von pädiatrie schweiz (Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie) aus Vertretern der stationären und ambulanten Kinder- und Jugendmedizin gegründet. Die AG hatte in einem ersten Schritt die bereits vorhandenen pädiatrischen CW-Listen aus anderen Ländern zusammengetragen, beurteilt, redigiert, ergänzt und daraus eine erste Liste mit 65 Items erstellt. Diese wurden hinsichtlich ihrer Evidenz sowie, ihrer Anwendbarkeit oder Relevanz in der Schweiz geprüft.  
In einem nächsten Schritt erfolgte eine erste Delphi-Umfrage mittels SurveyMonkey betreffend der Häufigkeit, Relevanz und Anwendbarkeit innerhalb der AG sowie erweitert bei Vertretern der verschiedensten Interessensgruppen und pädiatrischen Spezialisten. Dabei wurden jeweils zu den drei Fragen eine 7-Punkte-Likert-Skala angewandt. Zusätzlich bestand die Option, neue Items hinzuzufügen. Basierend auf den Antworten wurde die Liste statistisch ausgewertet und hinsichtlich der Häufigkeit überarbeitet (Mean value, Standard deviation, Interquartile Range, Median), woraus eine zweite Liste mit 42 Items resultierte.
In der Folge wurden die Mitglieder von pädiatrie schweiz (ordentliche Mitglieder, Assistenten-Mitglieder) in einer zweiten Delphi-Umfrage angeschrieben und aufgefordert sich mittels der 7-Punkte-Likert-Skala zur Erfassung der Relevanz zu den einzelnen Items zu äussern. Ziel war dabei, die CW-Liste von Beginn an möglichst breit bei den Kinderärzten abzustützen. Zudem wurde erfragt, ob die Formulierung klar und verständlich war. Zu jedem Item konnte ein Kommentar abgegeben werden. Nach statistischer Auswertung der Antworten sowie der Kommentare wurde eine dritte Liste mit 19 Items erstellt.
Für die finale Top-5-Liste wurden schliesslich durch die AG 4 Items aus der dritten und 1 Item aus der zweiten Liste ausgewählt. Letzteres auch deswegen, weil dieses Item für die AG eine hohe praktische Relevanz hat und sehr gut zur CW-Kampagne passt. Darüber hinaus sind auch Aspekte zur Umsetzung und Überprüfbarkeit der Massnahmen in die Erstellung der Top-5-Liste eingeflossen. Diese erste schweizerische pädiatrische Top-5-Liste betrifft nun sowohl die Praxis- wie die Spitalpädiatrie und beinhaltet v.a. therapeutische Aspekte im Sinne von "do not harm".  
Die finalisierte Liste wurde durch den Vorstand von pädiatrie schweiz überprüft. Nach Diskussionen und Rückmeldungen aus dem Vorstand nahm die AG eine Neubeurteilung des Items zur Bronchiolitis vor und ersetzte das ursprünglich nur knapp gewählte Item «Diagnostik bei Bronchiolitis» einstimmig durch das Item «Therapie bei Bronchiolitis». Diese nun finalisierte Top-5-Liste enthält Empfehlungen, deren Anwendung im Einzelfall zu überprüfen ist.