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Hämatologie

Die Schweizerische Gesellschaft für Hämatologie (SGH) gibt die folgenden
fünf Empfehlungen ab:

1) Keine unnötigen Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten, um Anämiesymptome zu lindern oder das Hämoglobin in einen sicheren Bereich anzuheben (70–80 g/l bei stabilen, nicht kardial erkrankten Patientinnen und Patienten).

 

Eine liberale Transfusionsstrategie verbessert das klinische Ergebnis nicht. Zudem verursachen unnötige Transfusionen Kosten und setzen Patientinnen und Patienten potenziellen Nebenwirkungen aus. Ärztinnen und Ärzte werden deshalb dringend aufgefordert, eine Einheit Erythrozyten zu transfundieren und ihre Wirkung zu überprüfen, bevor eine weitere Einheit verschrieben wird (keine routinemässige Verabreichung von zwei Einheiten Erythrozyten, wenn eine Einheit ausreicht), und bei Kindern eine angemessene gewichtsbasierte Dosierung von Erythrozyten anzuwenden.

 

Referenzen:

Carson JL, Grossman BJ, Kleinman S, Tinmouth AT, Marques MB, Fung MK, Holcomb JB, Illoh O, Kaplan LJ, Katz LM, Rao SV, Roback JD, Shander A, Tobian AA, Weinstein R, Swinton McLaughlin LG, Djulbegovic B; Clinical Transfusion Medicine Committee of the AABB. Red blood cell transfusion: a clinical practice guideline from the AABB. Ann Intern Med. 2012 Jul 3;157(1):49–58.

Retter A, Wyncoll D, Pearse R, Carson D, McKechnie S, Stanworth S, Allard S, Thomas D, Walsh T; British Committee for Standards in Hematology. Guidelines on the management of anaemia and red cell transfusion in adult critically ill patients. Br J Haematol. 2013 Feb;160(4):445–64.

2) Keine Thrombophilieabklärung bei Erwachsenen mit einer venösen Thromboembolie (VTE), die im Zusammenhang mit starken transienten Risikofaktoren auftritt (Operation, Trauma oder längere Immobilität).

 

Thrombophilietests sind kostspielig und können Patientinnen und Patienten schaden, wenn die Dauer der Antikoagulation unangemessen verlängert wird oder Patienten fälschlicherweise als thrombophil eingestuft werden. Thrombophilietests ändern nichts an der Behandlung von VTE, die im Zusammenhang mit wichtigen transienten VTE-Risikofaktoren auftreten. Wenn eine VTE im Zusammenhang mit geringfügigen vorübergehenden Risikofaktoren auftritt, z.B. Schwangerschaft oder Hormontherapie, oder wenn eine starke Familienanamnese vorliegt, kann ein Thrombophilietest hilfreich sein. Patientinnen und Patienten sowie Medizinerinnen und Medizinern wird dann empfohlen, sich von einem Experten beraten zu lassen.

 

Referenzen:

Chong LY, Fenu E, Stansby G, Hodgkinson S. Management of venous thromboembolic diseases and the role of thrombophilia testing: summary of NICE guidance. BMJ. 2012 Jun 27;344:e3979.

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3) Keine Antikoagulation länger als drei Monate bei einer ersten Thromboembolie, wenn diese im Rahmen eines starken transienten Risikofaktors auftritt.

 

Antikoagulation ist potenziell schädlich und kostspielig. Patientinnen und Patienten mit einer ersten VTE, die durch einen schweren, transienten Risikofaktor wie Operation, Trauma oder einen intravaskulären Katheter ausgelöst wurde, haben ein geringes Rezidivrisiko, sobald der Risikofaktor nicht mehr vorliegt und eine adäquate Behandlung mit Antikoagulation abgeschlossen wurde. Evidenzbasierte und konsensuale Leitlinien empfehlen eine dreimonatige Antikoagulation eher als kürzere oder längere Antikoagulationsdauer bei Patientinnen und Patienten mit VTE im Rahmen eines schwerwiegenden und reversiblen provozierten Faktors. Indem sichergestellt wird, dass die Patientin bzw. der Patient ein angemessenes Antikoagulationsschema erhält, können Medizinerinnen und Mediziner unnötige Schäden vermeiden, Gesundheitsausgaben reduzieren und die Lebensqualität verbessern. Diese Empfehlung von Choosing Wisely® gilt nicht für VTE im Zusammenhang mit nicht schwerwiegenden Risikofaktoren (z.B. Hormontherapie oder Schwangerschaft).

 

Referenzen:

Kearon C, Akl EA, Comerota AJ, Prandoni P, Bounameaux H, Goldhaber SZ, Nelson ME, Wells PS, Gould MK, Dentali F, Crowther M, Kahn SR; American College of Chest Physicians. Antithrombotic therapy for VTE disease: Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines [Erratum appears in Chest. 2012 Dec;142(6):1698–1704]. Chest. 2012 Feb;141(2 Suppl):e419S–94S.

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Monagle P, Chan AK, Goldenberg NA, Ichord RN, Journeycake JM, Nowak-Göttl U, Vesely SK; American College of Chest Physicians. Antithrombotic therapy in neonates and children: Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines. Chest. 2012 Feb;141(2 Suppl):e737S–801S.

4) a) Keine Routinecomputertomografie (CT) bei Diagnosestellung oder im Verlauf bei asymptomatischer chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) im Frühstadium sowie b) Begrenzung der Kontrollcomputertomografie bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten nach einer Behandlung eines aggressiven Lymphoms in kurativer Absicht.

 

Zu a): Bei Patientinnen und Patienten mit asymptomatischer CLL im Frühstadium verbessern Ausgangs- und Routine-CT-Überwachungsscans die Überlebenschance nicht, und deshalb sind sie nicht notwendig, um das Risikoprofil oder die Prognose einzuschätzen. CT-Scans setzen Patientinnen und Patienten geringen Strahlendosen aus, können zufällige Befunde ergeben, die klinisch nicht relevant sind, aber zu weiteren Untersuchungen führen und kostspielig sind. Bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten mit CLL im Frühstadium werden ein klinisches Staging und eine Blutbildüberwachung anstelle von CT-Scans empfohlen.

Zu b): Die CT-Überwachung bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten in Remission eines aggressiven Non-Hodgkin-Lymphoms kann aufgrund eines zwar geringen, aber kumulativen Risikos einer strahleninduzierten Malignität schädlich sein. Es ist auch kostspielig, und es wurde nicht nachgewiesen, dass es die Überlebenschance verbessert. Medizinerinnen und Medizinern wird geraten, den erwarteten Nutzen von CT-Scans nach der Behandlung sorgfältig gegen die potenziellen Schäden einer Strahlenexposition abzuwägen.

Aufgrund der im Laufe der Zeit sich verringernden Rezidivwahrscheinlichkeit und des Mangels an nachgewiesenem Nutzen sind CT-Scans bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten mehr als zwei Jahre nach Abschluss der Behandlung selten ratsam.

 

Referenzen:

Oscier D, Dearden C, Eren E, Fegan C, Follows G, Hillmen P, Illidge T, Matutes E, Milligan DW, Pettitt A, Schuh A, Wimperis J; British Committee for Standards in Haematology. Guidelines on the diagnosis, investigation and management of chronic lymphocytic leukaemia. Br J Haematol. 2012 Dec;159(5):541–64.

Eichhorst B, Hallek M, Dreyling M, Group EGW. Chronic lymphocytic leukaemia: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2010 May;21 Suppl 5:v162–4.

Zelenetz AD, Wierda WG, Abramson JS, Advani RH, Andreadis CB, Bartlett N, Bellam N, Byrd JC, Czuczman MS, Fayad LE, Glenn MJ, Gockerman JP, Gordon LI, Harris NL, Hoppe RT, Horwitz SM, Kelsey CR, Kim YH, Krivacic S, LaCasce AS, Nademanee A, Porcu P, Press O, Pro B, Reddy N, Sokol L, Swinnen L, Tsien C, Vose JM, Yahalom J, Zafar N, Dwyer MA, Naganuma M; National Comprehensive Cancer Network. National Comprehensive Cancer Network (NCCN) Clinical Practice Guidelines in Oncology: non-Hodgkin’s lymphomas: Version 1.2013. Fort Washington (PA): NCCN.2013.

Lin TL, Kuo MC, Shih LY, Dunn P, Wang PN, Wu JH, Tang TC, Chang H, Hung YS, Lu SC. Value of surveillance computed tomography in the follow-up of diffuse large B-cell and follicular lymphomas. Ann Hematol. 2012 Nov;91(11):1741–5.

Guppy AE, Tebbutt NC, Norman A, Cunningham D. The role of surveillance CT scans in patients with diffuse large B-cell non-Hodgkin’s lymphoma. Leuk Lymphoma. 2003 Jan;44(1):123–5.

Shenoy P, Sinha R, Tumeh JW, Lechowicz MJ, Flowers CR. Surveillance computed tomography scans for patients with lymphoma: is the risk worth the benefits? Clin Lymphoma Myeloma Leuk. 2010 Aug;10(4):270–7.

5) Keine routinemässige Behandlung einer Immunthrombopenie (ITP), wenn keine Blutungen und eine Thrombozytenzahl von über 20–30 × 109/l vorliegen.

 

Die Behandlung von ITP sollte darauf abzielen, Blutungen zu stoppen, neue Episoden zu verhindern und die Lebensqualität zu verbessern. Unnötige Behandlungen setzen Patientinnen und Patienten möglicherweise schwerwiegenden Nebenwirkungen aus und können kostspielig sein, ohne dass ein klinischer Nutzen zu erwarten ist. Die Entscheidung zur Behandlung von ITP sollte auf den individuellen Symptomen der Patientin / des Patienten, dem Blutungsrisiko (bestimmt durch frühere Blutungsepisoden und Risikofaktoren für Blutungen wie Anwendung von Antikoagulanzien, fortgeschrittenes Alter, Aktivitäten mit hohem Risiko usw.), sozialen Faktoren (Entfernung vom Krankenhaus/Reisegelegenheiten), Nebenwirkungen möglicher Behandlungen, anstehenden Eingriffen und Präferenzen der Patientin / des Patienten beruhen. Im pädiatrischen Umfeld ist eine Behandlung in der Regel nicht indiziert, wenn keine Schleimhautblutungen vorliegen, unabhängig von der Thrombozytenzahl. Bei Erwachsenen kann auch ohne Blutungen eine Behandlung angezeigt sein, wenn die Thrombozytenzahl sehr niedrig ist. Eine ITP-Behandlung ist jedoch bei Erwachsenen mit einer Thrombozytenzahl von mehr als 20–30 × 109/l selten indiziert, es sei denn, sie bereiten sich auf eine Operation oder einen invasiven Eingriff vor, oder es besteht ein signifikantes zusätzliches Risiko für Blutungen. Bei Patientinnen und Patienten, die sich auf eine Operation oder andere invasive Eingriffe vorbereiten, kann eine Kurzzeitbehandlung angezeigt sein, um die Thrombozytenzahl vor dem geplanten Eingriff und während der unmittelbaren postoperativen Phase zu erhöhen.

 

Referenzen:

Neunert C, Lim W, Crowther M, Cohen A, Solberg L Jr., Crowther MA; American Society of Hematology. The American Society of Hematology 2011 evidence-based practice guideline for immune thrombocytopenia. Blood. 2011 Apr 21;117(16):4190–207.

Arnold DM, Cuker A, Kelton JG, Initial treatment of immune thrombocytopenia (ITP) in adults. UpToDate, last updated Jan 24, 2022.

Schweizerische Gesellschaft für Hämatologie (SGH)

https://www.sgh-ssh.ch

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